Was gehört zu einer echten KI-Organisation?

Was gehört zu einer echten KI-Organisation?

Interdisziplinäres und kollaboratives Arbeiten

Was gehört zu einer echten KI-Organisation?

1024 475 Zukunftsforschung PROFORE

KI ist weder künstlich noch intelligent – es steht vielmehr als Akronym für „kollaborativ und interdisziplinär“. Was dahintersteckt und warum es das Fundament vieler Unternehmen gefährdet, erklären wir in diesem Beitrag.

 

Anders als die eine Buchhaltungslösung oder die eine ERP-Software gibt es nicht die eine KI für ein Unternehmen; es wird sie auch nie geben. Die klassischerweise zuständigen Angestellten, die sich um die Beschaffung von Technologielösungen kümmern, wissen das aber oft nicht. Denn noch immer ist das Verständnis von KI in vielen Organisationen eher rudimentär und alles andere als selbstverständlich – obwohl natürlich die meisten schon längst ChatGPT, Luminous oder andere KI-Tools ausprobiert haben. Es ist wie damals mit dem Smartphone: Im Privatleben längst Standard, bei den Arbeitgebern oft noch Fehlanzeige oder sogar rotes Tuch, wie uns immer wieder gespiegelt wird.

 

2021 stellte PROFORE-Gründer Kai Gondlach den Sammelband Arbeitswelt und KI 2030 – Herausforderungen und Strategien für die Arbeit von morgen (Springer Gabler) gemeinsam mit Dr. Inka Knappertsbusch zusammen. Darin schrieben die beiden im Vorwort:

„Durch alle Beiträge zieht sich der Befund, dass künstliche Intelligenz beileibe kein Neuland mehr ist. Die Anwendungen existieren, werden ständig verbessert, Innovatoren aller Branchen treiben die Entwicklung voran. Und so möchte dieser Band vor allem denjenigen Entscheidungsträger:innen in Wirtschaft, Politik und Verwaltung einen Überblick an die Hand geben, die noch zögern oder eine Argumentation für höhere Entwicklungsbudgets suchen. Fest steht, dass KI bereits einer der wesentlichen transformativen Trends des Jahrzehnts ist – Organisationen, die nicht jetzt handeln, werden das nächste möglicherweise nicht erleben.“

 

Davon konnten sich inzwischen Hunderttausende überzeugen, die das Buch auf Deutsch oder Englisch durchgearbeitet haben. So merken wir zwar in Gesprächen mit Vorständen, Geschäftsführungen und Strategieabteilungen, dass sich etwas regt: KI steht oft ganz oben auf der Agenda und das ist gut und richtig. Zwei Jahre nach Veröffentlichung des Bands und fast ein Jahr nach dem ChatGPT-Schock ist jedoch bei vielen immer noch eine grundlegende Verwirrung zu spüren, denn KI ist viel mehr als eine Technologie, die eingekauft werden kann. KI wirbelt die Aufbauorganisation klassischer Unternehmen oder Verwaltungen durcheinander – darauf kommen wir später wieder zurück.

 

KI ist weder künstlich noch intelligent

Der Begriff „künstliche Intelligenz“ ist irreführend – das, was lernende Maschinen tun, ist weder sonderlich künstlich noch intelligent.

Das Adjektiv „künstlich“ deutet an, es handle sich bei den Lösungen um magische Artefakte, die aus eigener Motivation heraus handeln und unsere Probleme lösen. Wie bei jeder technischen Einrichtung ist das zwischendurch auch der Fall, insbesondere wenn gewisse Automationszyklen ablaufen. Jedoch basiert jede KI zunächst auf einem großen Datenberg, welcher wiederum nur sinnvoll nutzbar gemacht werden kann, wenn sowohl die Auswahl dieser Daten, deren Zuordnung und vor allem die Regeln, auf denen sie verarbeitet werden sollen (oder eben nicht), klar von Menschen definiert wurden. Der größere Anteil einer KI ist damit zunächst menschlich. Nicht mehr und nicht weniger als bei einem Verbrennungsmotor auch. Somit sind auch die Fehler der KI letztlich auf Probleme in der Programmierung der Algorithmen, den Trainingsdaten, deren Labelling oder falsche Vorannahmen (Biase) der Verantwortlichen zurückzuführen.

 

KI handelt nicht intelligent

Das Substantiv „Intelligenz“ wiederum suggeriert, dass die KI ähnlich wie ein Mensch intelligent handle. Diese Annahme könnte nicht weiter von der Realität entfernt sein. Schauen wir uns die vielfältigen Facetten menschlicher Intelligenz an, wird auch relativ schnell klar, dass KI natürlich nicht intelligent ist und nach unseren Maßstäben auch nie sein wird. Wir gehen aktuell von 21 Arten von Intelligenz aus, über die Menschen in unterschiedlicher Ausprägung verfügen, darunter die logisch-mathematische, die sprachliche, zwischenmenschliche oder kristalline. KI ist nicht intelligent, KI ist höchstens recht effektiv in der Lösung spezifischer Probleme.

 

An der Stelle, wo KI allerdings Texte schreiben kann, kommt sie uns geradezu gruselig vor – das können doch sonst nur Menschen! Wenn wir aber genauer hinschauen, merken wir schnell, dass das, was sie uns liefert, letztlich nicht mehr als eine (zugegeben bemerkenswerte) Zusammenstellung bereits vorhandener Texte ist. ChatGPT und Co. sind somit nicht viel intelligenter als Praktikant:innen, die methodisch fit sind, aber vom Thema noch nicht besonders viel Ahnung haben. Nebenbei bemerkt haben wir es hier mit der wohl größten Plagiatsmaschine der Menschheitsgeschichte zu tun, was OpenAI, dem Unternehmen hinter ChatGPT, extrem teuer zu stehen kommen könnte. Das Prinzip jedoch funktioniert und wird, hoffentlich an den richtigen Stellen, auch in Unternehmen und Verwaltungen zum Einsatz kommen.

 

Das Kürzel KI sollte also umgedeutet werden in:

KI = kollaborativ und interdisziplinär

Dass KI nicht künstlich und intelligent ist, wissen viele. Dennoch fehlt in vielen Organisationen nach wie vor folgende Erkenntnis: Die Entwicklung von KI darf nicht nur ins IT-Silo der Organisation delegiert werden!

 

Anstatt also von künstlicher Intelligenz zu sprechen und zu schreiben, wäre es näher an der Realität, das Begriffspaar „Kollaboration und Interdisziplinarität“ zu wählen. Diesen Vorschlag haben zwei unserer Autor:innen, Dr. Aljoscha Burchardt (Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz) und Prof. Dr. Doris Aschenbrenner (Hochschule Aalen und Awesome Technologies GmbH), praxisnah erläutert. Darin beschreiben sie, wie Organisationen sich idealerweise dem KI-Thema nähern können – wie bereits angedeutet, ist dabei ein Co-Design der Prozesse entscheidend – und das wiederum stellt unserer Einschätzung nach die komplette Organisationslogik der meisten Unternehmen und Verwaltungen auf den Kopf. So wie seinerzeit die Entwicklung der Dampfmaschine oder der Elektrizität zu vollkommen neuen Unternehmensformen (und Marktlogiken) geführt hat, ist es jetzt die KI, die alte Muster obsolet macht und neue, agilere Formen der Erfüllung der Geschäftsmodelle belohnt.

 

Die hochgradig arbeitsteilige Struktur und Verteilung der Aufgaben der meisten Organisationen setzt zwar auf Kollaboration innerhalb einzelner Bereiche oder Teams, doch nicht darüber hinaus. Oft gibt es zwar auf Veranstaltungen oder in ausgewählten Sonderprojekten interdisziplinäre Zusammenarbeit, doch auch diese erreicht in der Regel nicht die Gesamtorganisation – aus herkömmlicher Sicht ist Interdisziplinarität ein Effizienzhemmer, schließlich gibt es ja einen Grund, warum man bestmöglich spezialisiertes Personal beschäftigt. Ausnahmen wie in manchen F&E- oder Marketingteams bestätigen die Regel.

 

Unternehmen auf dem Weg zur KI-Organisation

So machen die alten Organigramme plötzlich keinen Sinn mehr, zumindest wenn es um KI-Projekte geht. Die wenig undurchlässigen Silogrenzen waren der (internen oder externen) Organisationsentwicklung schon lange ein Dorn im Auge; jetzt wird’s brenzlig für den Kern des Geschäftsmodells und es muss gehandelt werden.

 

Um zur KI-Organisation zu werden, sollten Unternehmen und Verwaltungen daher stärker die grundlegende Formation ihrer Aufbaustruktur infrage stellen. Eine gute KI wird von Menschen mit möglichst diversen Hintergründen – fachlich, menschlich, kulturell – entwickelt. Schließlich wird sie auch in sehr diversen Kontexten zum Einsatz kommen.

Burchardt und Aschenbrenner schreiben dazu:

„Dabei sind neben den KI-Entwickler*innen im Minimum die Fachabteilung, die Rechtsabteilung, die IT (oder entsprechende Dienstleister*innen) und die Geschäftsleitung involviert“ (Arbeitswelt und KI 2030, Springer Gabler, 2021, S. 13)

 

Ob dies nun über temporäre, agil organisierte Projektteams geschieht oder einen radikalen Neuaufbau der Organisation, entscheidet letztlich die Geschäftsführung oder der Vorstand, ggf. gemeinsam mit dem Aufsichts- und Betriebsrat. Mit Blick auf die plausiblen Zukünfte der kommenden Jahrzehnte, mit einer eher zu- als abnehmenden Volatilität der Einflussfaktoren auf Geschäftsmodelle, raten wir zu letzterem.

 

Fazit

KI steht nicht mehr nur für „künstliche Intelligenz“, sondern auch „kollaborativ und interdisziplinär“. Und das stellt klassische Organisationen vor ein Dilemma: Brechen wir unsere Aufbaustruktur auf oder verzichten wir auf das Potenzial von KI?

 

Wenn wir KI für etwas einsetzen oder entwickeln wollen, das sinnvolle Aufgaben erledigt und einen Beitrag zur Eindämmung des Fachkräftemangels leisten soll, brauchen wir mehr als den idealisierten Ruf nach „der einen KI“. Sicher können diverse Backoffice-Prozesse inzwischen durch smarte Insellösungen KI-ready gemacht werden. Doch wer den Auftrag der großen Pioniere ernstnimmt und zur KI-Organisation werden möchte, braucht mehr: Es braucht eine neue Unternehmens-DNS, eine durchweg neue Aufbauorganisation und grundlegend neue 360°-Sicht auf sowohl interne als auch externe Entwicklungen.

 

Das Salz in der Suppe: Eine hohe Geschwindigkeit in der eigenen Transformation war nie wertvoller als heute, Tendenz steigend. Und das bei hohen Investitionskosten und Unsicherheit in der gesamten Wertschöpfungskette.